Vor etwa 100 Jahren wurden bei uns im
Lande die ersten Stimmen laut, die anklagend darauf hinwiesen, das bereits
manche Tierart durch die Einwirkung des Menschen verschwunden und andere
der Vernichtung nahe seien. Zunächst war es das Schicksal größerer
Tierformen im Auslande, das aufsehen erregte. Die Dronte war vernichtet.
Der Riesenalk, der im Mittelalter noch Schiffsladungen von Eiern geliefert
hatte, war gleichfalls ausgestorben. Der amerikanische Büffel, der zu
Beginn des 19. Jahrhunderts noch die Prärien in Herden von
Hunderttausenden belebte, war von gewissenlosen Jägern und Fleischmachern
in ihrer unstillbaren Gewinnsucht und Gefühllosigkeit gegen die Geschöpfe
zusammengeschossen worden.
Die Verminderung der Arten und der Zahl ihrer Vertreter im Inlande erregte
weniger Aufsehen. An den Massenfang von Raubvögeln, die man kurzweg als Räuber
und Schädlinge betrachtete, ging man achtlos vorüber. Ja, man förderte
sogar den Vernichtungskrieg gegen die prächtigen Vögel, die herrlichen
Flieger, durch Geldprämien für ihre Erlegung. Wenn man in alten,
vergilbten Akten blättert und die Jagdrechnungen der Hegereiter vor
hundert Jahren betrachtet, dann gedenkt man mit Wehmut der vergangenen
Zeit. In Verwaltungsbezirken von der Größe unserer heutigen Kreise
wurden alljährlich 70 bis 80 See und Fischadler erbeutet, in manchen
Jahren noch mehr. An kleineren Raubvögeln und Eulen fing man Tausende.
Vom Kolkraben wurden alljährlich 200 bis 300 Jungvögel aus dem Neste
gehoben und kaltherzig erledigt.
Die ersten Warner, die auf die Verödung unserer Natur hinwiesen, wurden
vielfach überhört. Zur Hilfe kam der bedrohten Tierwelt niemand, es sei
denn, dass einzelne Arten sich des besonderen Wohlwollen des Menschen
erfreuten. Wo es sich um Tiere handelte, deren Bedeutung für den Menschen
im Haushalt unverkennbar war, griff man allerdings vom Staate aus ein. Die
Jagd und Fischereigesetze wurden frühzeitig erlassen, und diesen ist es
zu verdanken, dass manche Tierart in der Heimat erhalten blieb.
Im übrigen ging die Vernichtung der Tierwelt auf der Erde ruhig weiter.
Aus unseren Waldungen verschwanden Luchs und Wolf; sie folgten den Bären,
und die Wildkatze wurde zur Seltenheit. Der letzte Wisent wurde gewildert,
der Auerochs war längst verschwunden. Im letzten Drittel des vorigen
Jahrhunderts erreichte die Tiervernichtung, das Schwinden der Arten, ihren
Höhepunkt. Man betrachtete das verschwinden einer Tierform als
Naturnotwendigkeit, die Art war eben im Kampf ums Dasein unterlegen.
Um die Jahrhundertwende dämmerte in Deutschland die Erkenntnis, das
dieser Standpunkt unhaltbar sei. Die aufblühende Technik hatte der
Menschheit das erhoffte Glück nicht gebracht. der Daseinskampf im
Wirtschaftsleben hatte sich stark verschärft, und viele suchen nach der
Tagesarbeit oder am Wochenende Erholung in der unberührten Natur. Jetzt
erst erkannte man den Rückgang der Tierarten und besonders die Verödung
der Vogelwelt. Die Augen wurden dafür geöffnet, das Verständnis wuchs
in weiten Volkskreisen, das die Verödung der Landschaft unterbunden
werden müsse, der Naturschutzgedanke brach sich Bahn und führte zum
Zusammenschluss Gleichgesinnter in Verbänden, die das ganze Land überspannten.
Das höchste Ziel des Naturschutzes wäre die
Unverletzlicherklärung aller Tiere. Dieses Ideal ist unerreichbar. Die
Zahl der geschützten Formen darf nie zu groß gewählt werden, weil sonst
die Volkstümlichkeit des Naturschutzgedankens untergraben würde.
Außerdem würde die praktische Durchführung des Schutzes an dem Fehlen
der Formenkenntnis scheitern. Diese ist im Volke und auch bei den überwachenden
Behörden äußerst gering. Am schwächsten ist es mit der Vogelkenntnis
bestellt. Jeder langbeinige Vogel von der Größe des Storches wird als
Storch angesprochen. Unter den Kleinvögeln sind vor allen dem Städter
nur wenige Arten bekannt. Es ist Aufgabe der Schule, hier Kenntnisse zu
vermitteln und aufklärend zu wirken. Wo die Kopfzahl einer Tierart noch
nicht allzu sehr gesunken ist, kann der Schutz zeitlich begrenzt werden.
Es ist bereits vor Jahren davon gebrauch gemacht und für Fischotter,
Edel- und Steinmarder eine längere Schonzeit verfügt worden. Im letzten
Jahrzehnt hat man dazu in manchen Gegenden Deutschlands Naturschutzgebiete
eingerichtet. Diese haben sich vorzüglich als Förderer des Tierlebens.
Der Artenreichtum wächst in diesen Gebieten von Jahr zu Jahr, obgleich
Habicht und Sperber ungestört jagen können. Solange das Tier nur tötet,
um selbst zu Leben, ersetzt die Schöpferkraft der Natur die Verluste. ...
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